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Kritische Betrachtung vom Wildcamping und Freistehen

Hotel Freiheit: Eine kritische Betrachtung von Wildcamping und Co.

In meinem Kopf bedeutet Freiheit die Möglichkeit, irgendwie straffrei von der Norm abzuweichen. Ähnliches könnte ich wohl auch über Wildcamping oder Freistehen behaupten, die meiner Meinung nach freieste Form, Land und Natur zu genießen. Doch auch hierbei gibt es Beschränkungen und Regularien. Manche davon sind klar definiert, andere wiederum gelten als stumme Wegweiser der Selbstverständlichkeit. Was du zum Campen in der Wildnis brauchst? Verhältnismäßig wenig Ausrüstung, aber viel Verstand.

Den Verstand hatte ich anfangs nicht. Denn als ich vor einigen Jahren völlig uninformiert durch Italien fuhr und dort mein wildes Lager an einem Gebirgssee aufschlug, entkam ich nur knapp einem 500 Euro Bußgeld. Dass ich so glimpflich davon kam, hatte ich lediglich dem zugedrücktem Auge eines Einheimischen zu verdanken. Wildcamping und Freistehen sind nicht überall erlaubt oder gern gesehen. Fast jedes europäische Land hat seine eigenen Spielregeln. Welche das genau sind, kannst du im CamperStyle-Artikel „Wildcamping in Europa“ genauer nachlesen. Während es zum Beispiel die Skandinavier lockerer sehen, gelten in südlichen Gefilden meist strenge Verbote, bei denen bis zu 1.500 Euro Strafe winken. Die Behörden sind heute noch sensibler und wachsamer, als früher. Das liegt mitunter auch darin begründet, weil immer mehr Reisemobilisten das unabhängige Erlebnis in der Natur suchen – und sich dabei leider nicht alle gleichermaßen zu benehmen wissen. Die Folgen sind oft zurückgelassene Müllberge, Exkremente und in Mitleidenschaft gezogene Pflanzen. Die Unberührtheit der Natur leidet unter der Achtlosigkeit mancher respektloser Freigeister. Dabei nehme ich mich auch selbst nicht aus. Ich habe früher auch keinen Gedanken daran verschwendet, ob sich Tiere oder Planzen durch meine Anwesenheit gestört fühlen könnten. Wildcamping ist toll, ganz klar! Und natürlich kann ich verstehen, warum es so viele Abenteurer*innen in die Wildnis zieht. Schließlich ist auch CamperStyle eine Plattform, die aus ebendieser Leidenschaft heraus entstand. Aber ist es unser persönlicher Erlebnisdrang wirklich wert, dabei die Umwelt zu belasten? Und was können wir tun, um uns als Teil der Natur zu sehen, statt sie für unseren Egoismus zu missbrauchen?

Foto: (c) MXW_Stock | yayimages.com

Wildcamping und Freistehen – welche Probleme treten auf?

Grundsätzlich gibt es keine großen Unterschiede zwischen Wildcamping und Freistehen. Während ersteres das Nächtigen in sämtlichen mobilen Unterkünften, wie Zelte und Fahrzeuge außerhalb gekennzeichneter Flächen – also in der Wildnis – umfasst, zählen zum Freistehen in erster Linie Fahrzeuge. Das kann über mehrere Tage hinweg sein oder auch nur eine Nacht. In der Regel aber immer ohne Strom, sanitäre Anlagen und Infrastruktur. Beides erfreut sich seit Jahren immer größerer Beliebtheit, weil sich die Menschen nach einem einfacheren Leben sehnen. In Harmonie mit Tier und Natur. Dem ist ja erstmal nichts entgegenzusetzen. Doch wie immer weisen Trends auch ihre Schattenseiten auf. So sind Spanien und Portugal zum Beispiel besonders von den negativen Einflüssen der Wildcamper betroffen. Müll wird achtlos in der Natur zurücklassen, unberührte Flecken Erde sind plötzlich voll mit Wohnmobilen und ihren Besitzer*innen. Aber auch in anderen Ländern ist die Verschmutzung durch mobile Reisende ein wachsendes Problem. Sollte ich eigentlich annehmen dürfen, dass in der heutigen Zeit des aufklärerischen, ökologischen Bewusstseins die Lage eine bessere wird, so ist es umso schockierender, wie häufig ich nach wie vor Gegenteiligem begegne. Zurückgelassene Plastik- oder Glasflaschen, vereinzelte Dosen oder ganze Müllsäcke bleiben an Ort und Stelle zurück. „Irgendwer wird sich schon darum kümmern“ scheint die Mentalität dabei zu sein. Selbst wenn sich jemand darum kümmert, ist das doch nicht der richtige Denkansatz, oder? Unsere Umwelt geht uns schließlich alle etwas an. Und das beginnt bei der eigenen Nasenspitze. Neben den Verpackungsmaterialien, ist auch die Verunreinigung durch menschliche Exkremente schuld an der Zerstörung von Flora und Fauna. Klar, wenn du mal musst, dann musst du eben. Eigene Campingtoiletten, die an extra dafür vorgesehenen Stellen geleert werden können, schaffen hier Abhilfe. Wenn du jedoch auf die „Outdoor-Version“ angewiesen bist, dann wähle zumindest ein stilles Örtchen, das bis zu 50 m von Gewässern entfernt ist, vergrabe deine Hinterlassenschaft und nimm dein Toilettenpapier wieder mit. Oder benutze Kotbeutel. Es gibt immer Mittel und Wege. Viele wissen nicht, dass selbst kompostierbare Reste in manchen – vor allem höhergelegenen Regionen – sehr viel langsamer verrotten. Bis zu drei Jahre kann es schon mal dauern, bis z.B. eine tropische Frucht verschwunden ist.

Auch die Belastung für die Anwohner wird oftmals unterschätzt. Damals in Italien kam ich mit dem bereits erwähnten Dorfbewohner ins Gespräch. Der Ort, an dem ich mein Lager aufschlug, war anscheinend schon öfter von Wildcampern besetzt worden. Er schilderte mir leider vor allem seine negativen Erinnerungen. Laute Parties, zurückgelassener Müll oder unangenehme Gerüche durch Exkremente waren nur ein paar seiner Eindrücke. Schockiert von meiner eigenen Unüberlegtheit, begann ich mich sofort zu schämen. Strafe genug und mein persönlicher Startschuss umzudenken – und mehr Bewusstsein für das eigene Verhalten zu schaffen. Gesagt, getan. Eine Folge dessen ist zum Beispiel dieser Artikel, der Wildcamping und Freistehen keineswegs verurteilen soll. Wohl aber dazu anregen, einmal darüber nachzudenken, welche Maßnahmen zur Verbesserung beitragen. Wie wäre es zum Beispiel damit, den Einheimischen unter die Arme zu greifen? Pack nicht nur deinen eigenen Müll wieder mit ein, sondern auch den, der bereits vor Ort liegt. Jedes Bisschen kann helfen, um betroffene Regionen zu entlasten. So kannst du aktiv mitwirken, den sich ausweitenden Verboten, Strafen und Anfeindungen gegenüber Wildcampern und Freistehern entgegenzuwirken.

Foto: (c) Peter t | yayimages.com

Wer der Herde folgt, sieht nur Ärsche. Dem Image der Freiheitsliebe gerecht werden.

Naturverbunden, freiheitsliebend, autark und mutig. Ein Image, das Abenteurer*innen der freien Campingszene sich gerne einmal zuschreiben. Dazu zähle ich auch mich selbst. Wenn ich allerdings achtlos mit den Orten umgehe, die ich aufsuche, bin ich genau das Gegenteil: nämlich alles andere, als mit der Natur verbunden. Stattdessen greife ich sie an. Damit du das verhindern kannst, gibt es neben regionalen Gesetzeslagen auch ein paar stumme Regeln, die du im Hinterkopf behalten kannst und die ich dir im Folgenden einmal zusammenfasse:

  • Wähle deinen Übernachtungsort sorgfältig aus. Meide dabei empfindliche Übergangsbereiche zwischen Wiesen und Wäldern, denn dort sind Tiere in der Dämmerung besonders aktiv. Achte darauf, dass es sich um kein Privatgrundstück handelt, es sei denn du fragst zuvor um Erlaubnis.
  • Hinterlasse keine Spuren und nimm deinen Müll wieder mit – auch vermeintlich kompostierbaren.
  • Benutze eine Campingtoilette oder Kotbeutel und entsorge deine Hinterlassenschaften an dafür gekennzeichneten Stellen (Raststätten, Campingplätze, etc.)
  • Achte auf Verbotsschilder (Privatgrundstück, etc.)
  • Verhalte dich ruhig und rücksichtsvoll, um weder Tiere, noch etwaige Anwohner zu stören.
  • Achte auf Pflanzen und versuche deren Lebensgrundlagen weitestgehend zu erhalten.
  • Entzünde kein offenes Feuer und benutzte ausschließlich sichere Campingkocher. Vorsicht bei akuter Trockenheit!
  • Bereite dich gut vor mit wetterfester Wechselkleidung, Erste-Hilfe-Set und ausreichend Müllbeuteln.
  • Halte deinen Platz auch während des gesamten Aufenthaltes sauber.
  • Sei im Falle des Falles schnell wieder aufbruchsbereit und vermeide Konflikte. Zeige also eher Nachsicht und ziehe weiter, bevor du Diskussionen führst, um bleiben zu können.
  • Vermeide Social-Media-Tagging und genieße den Ort lieber für dich allein. Der Charme des Wildcampings ist schließlich auch das Alleinsein. Je mehr Likes, desto höher die Gefahr der baldigen Camper-Invasion.
  • Schaffe ein Bewusstsein für die Problematik beim Austausch mit anderen Camper-Enthusiast*innen.

Dieser kleine Leitfaden fürs Wildcampen/Freistehen ist inzwischen mein ständiger Begleiter, wenn ich mit meinem Van die Natur aufsuche. Natürlich zusätzlich zu den jeweiligen Gesetzen und Richtlinien der jeweiligen Länder. Letztendlich aber plädiere ich beim Wildcamping an den Verstand jedes einzelnen und halte es mit der Natur, wie auch mit dem Menschen nach dem „kategorischen Camperativ“: „Campiere nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Camping-Gesetz werde.“ Das bedeutet, sei nicht nur verantwortungsbewusst gegenüber dir selbst, sondern auch gegenüber Gastländern, Natur und Einwohnern. Jeder von uns kann ein bisschen die Welt retten und dabei trotzdem ein Teil von ihr sein, oder?

Experten im Podcast zum Thema „Wildcamping & Freistehen“

Auch in unserem Podcast haben Nele und Sebastian das Thema „Wildcamping und Freistehen“ ausführlich beleuchtet, geben Informationen und Tipps. Hör doch mal rein:

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Titelfoto: (c) Tim Scottrom | yayimages.com

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Ein sehr guter, reflektierter Artikel, der mich daran erinnert, genau aufzupassen, wo ich wen oder was störe, wenn ich mich einfach irgendwo hinstelle. Ich habe noch kurz vor der Corona-Krise das Reisen mit dem Wohnmobil entdeckt und möchte auch nicht immer auf dem typischen Stellplatz stehen, sondern als Hobbyfotograf einfach dahin, wo ich meinem Hobby nachgehen kann.
    Vielleicht ist es eine gute Idee, wenn man sich grundsätzlich vornimmt, einen Platz sauberer zu hinterlassen, als man ihn vorgefunden hat…
    Ich werde mir auf alle Fälle so eine Müllgreifzange anschaffen. Vielleicht kann man das als Aktion verbreiten:, nach dem Motto: „Wir greifen uns den Müll! Wer macht mit?“
    Danke für den guten Artikel!
    Gruß
    Be.

    1. Lieber Bernd, vielen Dank für dein positives Feedback. Und danke für deine Anregung, das Müllsammeln als Aktion zu verbreiten. Es gibt in der Tat viele Organisationen und Trends, die genau das tun: Plogging (also Joggen und dabei Müll sammeln) ist derzeit in aller Munde und begegnet einem in der Presse und im TV. Andere Organisationen sammeln Müll an Stränden, Ufern oder gar direkt aus Bächen, Flüssen und Meeren. Der Grundsatz, dass man drei Stücke fremden Mülls (zu seinem eigenen) mit aufsammelt, verbreitet sich auch immer mehr. In jedem Fall liegst du mit deiner Greifzange dann voll im Trend. (Persönlich kann ich dir die Zange von Gardena empfehlen, langlebig und mit Pieker versehen). Liebe Grüße und viel Spaß beim Sammeln wünscht dir Sandra

  2. Hi, super Artikel. Sehe ich ganz genauso. Umso rücksichtsvoller jeder ist, umso toleranter die Einheimischen.
    Ich habe mir als eigene Regel gesetzt, dass ich für jede freie Übernachtung dort vor Ort mindestens 100 Teile Müll sammel. Hört sich vielleicht viel an aber traurigerweise findet man diese 100 Stück zumeist ohne einen großen Radius ziehen zu müssen, häufig auch schnell mehr. Die paar Minuten sollte uns die Natur und die Toleranz der Mitmenschen wert sein.

    1. Vielen Dank für deinen Kommentar – das ist eine tolle Einstellung! Auch wir sammeln immer fleißig, vor allem an den Stränden. Keine 100 Teile (das ist wirklich sportlich!), aber zumindest Plastik, Bierflaschen, Zigarettenkippen etc. Wir freuen uns sehr, dass anscheinend doch viele Menschen unsere Meinung zu diesem Thema teilen. Der befürchtete Shitstorm auf den Artikel ist jedenfalls bislang ausgeblieben, es kommen durchweg positive Rückmeldungen 🙂 Das gibt uns etwas Hoffnung für die Zukunft. Vielleicht schaffen wir „Vernünftigen“ es gemeinsam, gegen den schlechten Ruf der Wildcamper etwas anzukämpfen… Liebe Grüße!

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