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Bürstner: Befreiungsschlag oder Verzweiflungstat? Traditionsreicher Hersteller mistet radikal aus

Ich habe schon bei vielen Herstellern Modellwechsel erlebt. Manche waren mutig, andere eher kosmetisch. Aber was Bürstner da gerade vollzieht, sprengt jede Vorstellungskraft. 15 Baureihen raus, 3 komplett neue rein – wer so etwas tut, meint es ernst. Und riskiert eine Menge.

Was ist passiert?

Mit dem Modelljahr 2026 verabschiedet sich Bürstner kompromisslos von seinen 15 Baureihen und insgesamt 48 Grundrissen. Künftig konzentriert sich das Unternehmen auf drei völlig neue Modelle: Papillon, Habiton und Signature. Alle bisherigen Alkoven, Integrierte und Urban Camper gehören damit der Vergangenheit an. Wie es mit der Wohnwagensparte weitergeht, ist noch nicht öffentlich bekannt.

Die Entscheidung folgte auf die Ernennung von Hubert Brandl zum neuen Geschäftsführer im November 2024. Brandl, zuvor erfolgreich bei Niesmann+Bischoff tätig, kritisierte die bisherige Produktstrategie als „viel zu große Produktpalette“ mit „größtenteils beliebigen Modellen ohne Alleinstellungsmerkmal“.

Die neuen Modelle im Überblick

Papillon: Zurück zu den Wurzeln

Der Papillon ist ein Camper-Van auf Basis des Fiat Ducato mit 120-PS-Diesel. Er bietet eine einfache Ausstattung: Querbett im Heck, ein Induktionskochfeld, jedoch keinen Kühlschrank – optional ist eine Kühlbox erhältlich. Der Einstiegspreis liegt bei 40.000 Euro.

Habiton: Innovation auf Sprinter-Basis

Der Habiton basiert auf dem Mercedes Sprinter und verfügt über ein patentiertes, verschiebbares Badezimmer. Dieses ermöglicht die Nutzung von Längs-Einzelbetten auf nur sechs Metern Fahrzeuglänge. Mit bis zu 100 Variationsmöglichkeiten in Dekoren und Polstern bietet der Habiton hohe Individualisierbarkeit. Die Preise starten bei 73.000 Euro für die Hinterradantrieb-Version und 87.000 Euro für den Allradler.

Signature: Teilintegrierte Flexibilität

Der Signature richtet sich an Liebhaber teilintegrierter Modelle. Er basiert auf dem Konzept des Niesmann iSmove und bietet Features wie eine drehbare Sitzbank, ein ausfahrbares Sideboard und einen großen 143-Liter-Kühlschrank. Der Startpreis liegt bei 77.000 Euro; eine Sprinter-Variante soll später folgen .

Übergangsmodelle: B66-Sondereditionen

Um die Zeit bis zur Markteinführung der neuen Modelle zu überbrücken, bietet Bürstner ab Juli 2025 drei B66-Sondermodelle an. Diese basieren auf den auslaufenden Baureihen und sind mit umfangreicher Ausstattung zu attraktiven Preisen erhältlich. Beispielsweise wird der B66-Teilintegrierte ab 79.000 Euro angeboten, was einem Preisvorteil von über 18.000 Euro gegenüber der regulären Ausstattung entspricht.

Was bedeutet das für Bürstner – und die Branche?

Ich frage mich: Was – oder wer – bewegt einen der traditionsreichsten Hersteller Deutschlands dazu, alles auf Anfang zu setzen? Die Strategie hat einen Namen: Hubert Brandl. Ein Macher, der sich offenkundig nicht in halben Lösungen verliert, sondern Klartext spricht. „Beliebige Modelle ohne Alleinstellungsmerkmal“. Autsch. So ein Satz kann auch als Seitenhieb auf die Vorgänger und die treue Kundschaft aufgefasst werden, die genau diese Fahrzeuge in der Vergangenheit geschätzt hat.

Im Grunde hat der Hersteller mit seinem spektakulären Schritt nicht weniger getan, als sein bisheriges Produktuniversum komplett abzuräumen. Für eine Branche, die traditionell eher vorsichtig agiert und deren Kundschaft in weiten Teilen auf Verlässlichkeit und Beständigkeit setzt, ist das ein nie dagewesener Paukenschlag.

Aber vielleicht war genau das nötig. Vielleicht ist Bürstner tatsächlich zu gefällig geworden. Zu brav. Zu wenig innovativ. Dass man sich jetzt auf drei stark differenzierte Baureihen konzentriert, ist strategisch nachvollziehbar – und wirkt auf mich wie das Ergebnis eines sehr klaren, mutigen und nach vorne gewandten Denkprozesses.

Warum so zurückhaltend?

Trotzdem: Warum redet Bürstner nicht lauter über diesen radikalen Neuanfang? Warum wird das Ganze auf der firmeneigenen Website bislang nur kryptisch verpackt, anstatt eine große Kampagne zu fahren? Ich vermute: Angst, den Handel und die Kundschaft mit zu viel Ehrlichkeit zu verschrecken. Die Fahrzeuge im Bestand sollen sich schließlich noch verkaufen lassen.

Wer heute ein Wohnmobil erwerben möchte, könnte ins Grübeln kommen, ob ein „altes“ Modell überhaupt noch zukunftssicher ist. Gleichzeitig dürften viele Fans der Marke genau jetzt hellhörig werden: Noch einmal zuschlagen, solange es den geliebten Lyseo oder Copa überhaupt noch gibt – und das auch noch zu attraktiven Sonderpreisen.

Worauf ich wirklich gespannt bin: Wie reagieren die Bürstner-Fans? Die Community ist groß, loyal – aber auch anspruchsvoll. Wird der neue Papillon mit seinem spartanischen Konzept wirklich eine Zielgruppe finden? Oder ist der Signature, das NiBi-iSmove-Konzept im neuen Gewand, ein echtes Ass im Ärmel?

Was auffällt: Die neuen Modelle wirken (zumindest auf dem Papier) sehr durchdacht. Weniger Spielarten, mehr Individualisierungsmöglichkeiten, klare Zielgruppenansprache – das wirkt wie ein Gegengewicht zur vorherigen Strategie, möglichst viele Segmente zu bespielen. Statt jedem Trend nachzulaufen, scheint Brandl auf Konzentration und Klasse zu setzen.

Aber reicht das aus? Wird die Kundschaft, die sich an den „Wohnfühl“-Slogan gewöhnt hat, bereit sein, sich auf „Discover the better“ einzulassen? Und wie wird der Handel reagieren, wenn mit dem Caravan Salon keine Fahrzeuge verkauft, sondern nur vorgestellt werden – bei gleichzeitiger Unsicherheit über Lieferzeiten und Zukunftsperspektive?

Vielleicht rechnet Bürstner damit, dass die Tabula-Rasa-Aktion genug Aufmerksamkeit erzeugt, um zum Caravan Salon wieder ganz oben auf der medialen Agenda zu stehen. Vielleicht hofft man aber auch darauf, dass sich die aktuellen Restbestände durch die Unsicherheit sogar schneller verkaufen – nach dem Motto: Lieber jetzt noch einen „klassischen“ Bürstner kaufen, bevor er endgültig Geschichte ist.

Ich glaube: Brandl spielt hoch – aber er spielt mit Plan. Um sich nicht einfach nur „mittreiben“ zu lassen, sondern echtes Profil zu zeigen, müssen alte Zöpfe manchmal einfach abgeschnitten werden. Ob die Strategie aufgeht, wird sich vermutlich schon auf bzw. nach der Messe schon etwas genauer abschätzen lassen – denn dort will der Hersteller die Prototypen der neuen Baureihen präsentieren. Der Verkauf soll dann Anfang nächsten Jahres starten.

Hubert Brandl: Ein Branchenprofi mit klarer Vision

Mit Hubert Brandl hat im November 2024 ein ausgewiesener Caravaning-Experte das Ruder bei Bürstner übernommen. Der Diplom-Betriebswirt bringt jahrzehntelange Branchenerfahrung mit – unter anderem als Marketingleiter bei Tabbert und später als Geschäftsführer bei Tabbert Caravan und Niesmann+Bischoff. Gerade bei NiBi formte er den einstigen Nischenanbieter zu einer der erfolgreichsten Luxusmarken im Reisemobilsegment.

Diese Personalie unterstreicht die Ernsthaftigkeit, mit der die Erwin Hymer Group die Neuausrichtung von Bürstner betreibt – und könnte zum zentralen Baustein einer langfristigen Markenstrategie werden.

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Nele Landero Flores

Träumte seit ihrer Kindheit von einem Leben auf Rädern. Tourt jetzt mit Mann und Hund ganzjährig im Wohnwagen durch Europa und verbringt die kalten Wintermonate in Mexiko. Expertin für Caravan, Camping-Ausstattung, Reise-(Geheim)Tipps, Dauerreisen und Arbeiten unterwegs. Lieblingsspots: Andalusien, Baskenland, Albanien & Mexiko.

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