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Overtourism in Skandinavien – echtes Problem oder Medienhype? Was Camper wirklich wissen sollten

Der Traum vom einsamen Stellplatz am Fjord zieht uns alle magisch in den Norden. Doch angesichts aktueller Schlagzeilen über „Overtourism“ und genervte Einheimische fragen sich viele, ob sich die Reise überhaupt noch lohnt. Landest du am Ende in der ersehnten Wildnis oder doch nur im Stau hinter hunderten weißen Riesen?

Nele und Sebastian haben genau diese Sorgen mit zwei echten Insidern besprochen und können Entwarnung geben. Der Norden ist keineswegs voll, wir verteilen uns lediglich falsch.

Der Realitätscheck zwischen Traum und Masse

Lass uns zuerst mit dem Mythos aufräumen, dass ganz Skandinavien wegen Überfüllung geschlossen ist. Jenny und Lukas, die seit acht Jahren in Norwegen leben und die App Nordcamp mitgegründet haben, sehen die Lage differenziert. Das eigentliche Problem liegt nach Ansicht der beiden Experten nicht in der bloßen Anzahl der Camper, sondern in der massiven Konzentration auf wenige Hotspots zur immer gleichen Zeit.

Das Nadelöhr bilden dabei die berühmten Sehenswürdigkeiten. Fast alle Reisenden wollen im Juli zu den Lofoten, zum Geirangerfjord oder zum Preikestolen. An diesen Orten kollabiert die Infrastruktur laut den Beobachtungen von Jenny und Lukas tatsächlich unter dem Ansturm. Sebastian vergleicht dieses Phänomen im Gespräch treffend mit der Algarve oder den Küsten Spaniens, wo sich der Tourismus an wenigen Punkten ballt, während das Hinterland oft leer bleibt.

Auch Nele bestätigt diese Diskrepanz aus eigener Erfahrung. Sie erinnert sich an ihren Besuch in Oslo, das sie im Hochsommer als eine der ruhigsten Großstädte überhaupt erlebte. Lukas ergänzt hierzu, dass die Strecke von Trondheim Richtung Bodø meistens total entspannt ist, und das völlig unabhängig von der Jahreszeit. Erst auf den Lofoten ändert sich das Bild seiner Erfahrung nach drastisch.

Das große Missverständnis um das Jedermannsrecht

Ein bestimmtes Märchen hält sich hartnäckig in den Köpfen vieler Reisender. Sebastian gibt offen zu, dass auch er früher dachte, das Jedermannsrecht bedeute quasi freies Parken mit dem Wohnmobil, solange kein Haus in der Nähe ist. Doch hier müssen wir Klartext reden, denn das Jedermannsrecht gilt nicht für Fahrzeuge.

Jenny erklärt den eigentlichen Sinn dieses skandinavischen Ur-Rechts sehr anschaulich. Es geht im Kern darum, die „Überprivatisierung der Natur“ zu verhindern. Das Gesetz erlaubt Wanderern mit Zelt, die Natur zu genießen, Beeren zu pflücken oder kurz zu rasten. Dies gilt sogar auf privaten Grundstücken, sofern man sich außerhalb der Sichtweite der Eigentümer befindet.

Sobald du jedoch einen Motor startest, greift dieses Recht laut Jenny nicht mehr. Wer sich mit dem Wohnmobil querfeldein stellt und auf das Jedermannsrecht pocht, handelt nicht nur rechtlich falsch, sondern sorgt nach Einschätzung der Experten bei den Einheimischen auch für massiven Frust. Zudem hält sich der Irrglaube, dass ungenutzte Fläche automatisch „niemandem“ gehört. Jenny weist darauf hin, dass es sich dabei in den meisten Fällen um Privatbesitz handelt.

Kulturelle Unterschiede und ihre Folgen

Interessant ist zudem, wie unterschiedlich die Länder auf den Ansturm reagieren. Hier lohnt es sich laut den beiden Wahl-Norwegern, die jeweilige Mentalität zu verstehen, um nicht ungewollt ins Fettnäpfchen zu treten.

Nach Lukas’ Erfahrung sind Norweger beispielsweise extrem konfliktscheu. Während Nele anmerkt, dass wir in Deutschland sehr an Schilder und klare Regeln gewöhnt sind, finden sich in Norwegen kaum Verbotsschilder und keine Zäune. Dies wird oft missverstanden und als generelle Erlaubnis interpretiert.

Aber nur weil dich niemand anschreit, heißt das für Lukas nicht, dass du willkommen bist. Die Norweger leiden eher still, bis ihnen irgendwann der Kragen platzt. Jenny berichtet, dass in der Region Tromsø zuletzt erste Schilder mit der Aufschrift „Tourists go home“ auftauchten, weil Camper dreist auf privaten Gewerbeflächen parkten.

Schweden reagiert den Beobachtungen der beiden zufolge inzwischen deutlich härter, was besonders im Süden spürbar ist. Jenny erzählt, dass an vielen beliebten Badestellen mittlerweile Höhenbalken installiert werden. Der Grund dafür ist simpel. Einheimische Jugendliche hatten im Sommer keinen Platz mehr zum Baden, da die Parkplätze von Dauercampern blockiert wurden. In Schweden musst du dich deshalb zunehmend auf Verbote und Barrieren einstellen.

So findest du deine Freiheit, ohne andere zu nerven

Du willst trotzdem das echte Skandinavien-Feeling erleben? Das ist durchaus möglich. Es ist laut Jenny und Lukas genug Platz für alle da, wenn wir uns ein bisschen smarter verhalten und folgende Tipps beherzigen.

Zunächst raten die beiden dringend dazu, die bekannten Instagram-Hotspots zu meiden. Muss es wirklich das eine Foto sein, das schon eine Million andere gemacht haben? Wenn du Ziele abseits der Top-10-Listen ansteuerst, findest du oft noch die absolute Einsamkeit.

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Nele besonders hervorhebt, ist die Nutzung verlässlicher Quellen. Sie empfiehlt, sich nicht blind auf Apps zu verlassen, in die jeder Nutzer alles eintragen kann. Dieser Effekt führt oft dazu, dass private Grundstücke fälschlicherweise als Stellplätze markiert werden. Nele und die Experten raten stattdessen zu Apps wie Nordcamp, die Plätze redaktionell prüfen. So gehst du sicher, dass du legal stehst und niemanden störst.

Zudem gilt für die Runde die Devise „Stay the Night“ statt Wildcamping um jeden Preis. Es muss nicht immer der teure Campingplatz sein. Jenny empfiehlt, einfache Stellplätze oder Parkplätze zu suchen, wo gegen eine kleine Gebühr das Übernachten offiziell erlaubt ist.

Lukas hat hierfür außerdem eine einfache Faustregel parat. Wenn an einem Ort schon zwei Camper stehen, fahr einfach weiter. Eine Rudelbildung zerstört seiner Meinung nach genau die Magie, die wir suchen, und provoziert unnötigen Ärger.

Abschließend weist Jenny noch auf einige absolute Tabus hin. Friedhofsparkplätze sind beispielsweise tabu, denn Wasser am Friedhof zu zapfen, ist für die pietätvollen Skandinavier ein absolutes No-Go. Auch der Satz „Ich nehme meinen Müll ja wieder mit“ ist für die Experten kein Freifahrtschein für illegales Parken.

Fazit

Lass dich von den reißerischen Schlagzeilen nicht abschrecken. Skandinavien ist riesig, die Landschaft atemberaubend und die Menschen sind nach wie vor gastfreundlich. Das gilt zumindest so lange, wie wir uns als Gäste benehmen und nicht wie Eroberer auftreten.

„Kommt nach Skandinavien, es ist noch Platz für euch alle“, sagt Jenny abschließend. Wenn du bereit bist, ein paar Kilometer abseits der ausgetretenen Pfade zu fahren und die lokalen Regeln zu respektieren, dann findest du ihn auch heutzutage noch: Deinen ganz persönlichen, einsamen Stellplatz am Fjord.

Podcast-Episode

Dieser Artikel basiert auf unserer Podcast-Episode, die du dir hier direkt anhören kannst:

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Titelbild: © chaoss – depositphotos.com

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Justyna Glatzer

Justyna ist unsere Werkstudentin. Sie reist für ihr Leben gern und liebt Tiere. Mit ihren beiden Hunden ist sie viel draußen und bald auch mit dem eigenen Camper unterwegs.

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